Machtmissbrauch an Musikhochschulen





Meine Erfahrungen beziehen sich auf den Bereich Jazz und Musikhochschulen, spielen sich  aber in ähnlicher Form in der ganzen Musikbranche und im gesamten Hochschulbereich ab. Meine Perspektive ist weiß, queer, afab, neurodivergent, ablebodied, mit deutschem Pass.


Trigger-Warnung für Personen mit PTSD: Bitte passt gut auf euch auf, macht eine Pause, oder lest gemeinsam mit Freund*innen weiter. Ihr müsst da nicht alleine durch.
Hier werden erwähnt: psychische Gewalt, emotionaler Missbrauch, sexualisierte Gewalt, Rassismus


Ich war 24 Jahre alt, als ich für mein zweites Musikstudium am renommierten Jazz Institut Berlin angenommen wurde. Meine Studienzeit war geprägt von den hochschulinternen politischen Konflikten, sowie Gewalt, Diskriminierung und Missbrauch von Studierenden, welche durch die vergiftete Atmosphäre und durch strukturelle Schutzlücken begünstigt, normalisiert und toleriert wurden. Der Ruf der Schule steht über allem. Daher kommt es, dass Vorfälle jeder Art intern gelöst werden sollen. Doch wenige Einzelpersonen haben darin zu viel Macht, zu viele Funktionen gleichzeitig und Interessenskonflikte, selten aber Expertise. Die Fachbereichsleitung, wie auch die Hochschulleitung des JIB, erwiesen sich zu meiner Zeit leider weder als fähig, noch als vertrauenswürdig, und oft auch nicht gewillt, im Interesse der Studierenden zu handeln bzw sie zu schützen. Weder in der Mitsprache bei neu zu besetzenden Lehrstellen, noch im Umgang mit Gewalt und Diskriminierung. Daran hat sich bis heute wenig geändert.


Meine Kollegin Natalie Greffel, die ebenfalls am JIB studierte, ging in ihrer Dankesrede beim diesjährigen Deutschen Jazzpreis auf ihre eigene Erfahrung am JIB und in der Berliner Jazzszene ein:

“Jazz” bedeutet [für mich] weiße, meist cis-hetero-männliche Jazz-Communitys und -Institute, die weder das Wissen noch das Bewusstsein haben, wie man sich intensiv mit der Politik und der Geschichte auseinandersetzt, die im Schwarzen Bewusstsein verankert sind. “Jazz” bedeutet keine liebevolle oder kritische Kultur in der Reflexion über Jazz unter Berücksichtigung von Rasse, Geschlecht, Nationalität, Klasse und Sexualität. Diese Ignoranz, Unwissenheit und Unzulänglichkeit sind allgegenwärtig. Von der Schülerschaft, die von ihren Lehrenden ungebildet bleibt, bis hin zu dem Jazzgeschichtskurs, den ich wegen Weißer Zerbrechlichkeit und Ablehnung, sowohl durch den "hochgelobten" Lehrer, als auch von einigen der weißen männlichen Studierenden in der Klasse, verließ.
Diese [Haltung] zeigte sich auch im Schweigen der Hochschulleitung, die wusste, was vor sich ging, bis hin zu einer früheren Gewinnerin dieses Preises in einer anderen Kategorie, die sich mir gegenüber während meines gesamten Studiums an der Jazzschule wiederholt rassistisch geäußert hat und sich weigert, ein Problem darin zu sehen. Diese Diskrepanz hat dazu geführt, dass ich und andere BPoC-Musiker*innen soziale Ausgrenzung und tägliche Aggressionen und Mikroaggressionen erleben. Ich habe mich jahrelang isoliert, da ich euch erst von meiner Erfahrung als queere afropäische Frau überzeugen muss, bevor wir überhaupt spielen können.”


Das Jazz Institut ist kein Einzelfall. Erst diesen Monat berichtete der Evening Standard über Psychische Gewalt und Missbrauch in der Klassik-Musikausbildung von UK. In einer Wissenschaftlichen Arbeit zu Diskriminierungserfahrungen an der HfMT Leipzig von Jakob Treptow (Leipzig, 30.09.2021), werden Studierende und Lehrende mit ihren Erfahrungen zitiert. Darin heißt es unter anderem:


[...] Die Situationen wirken nach außen oft harmlos und wie Einzelfälle (oder es werden andere Erklärungen für bestimmtes Verhalten hergezogen) aber die Menge, Wiederholung und Alltäglichkeit davon zermürbt die betroffenen Personen und führt bei einigen zum Meiden der Hochschule und der Abwägung, das Studium abzubrechen, um der sozialen Situation zu entgehen. Abgesehen wird auch durch den sozialen Ausschluss (explizit weiblicher Instrumentalistinnen in der Jazz-Abteilung) das lern-Potenzial und dadurch die musikalische Entwicklung massiv beeinträchtigt, [...] S. 49


„Der Dozent überschritt oftmals Grenzen, indem er Studentinnen körperlich zu nah kam und frauenfeindliche Sprüche äußerte.“  S. 46


„"Schwul" als beschreibende Eigenschaft von Gestik“  S. 46


„Asiatisch gelesene Personen werden herablassend behandelt und gelästert von mehreren Personen, die am Empfang/Schlüsselvergabe tätig sind, sehr häufig und extrem!!“ S. 46


Für die hier beschriebenen Erfahrungen von Gewalt und Diskriminierung, gibt es Gesetze, welche in der Praxis leider zumeist wenig Anwendung finden.
Hinzu kommen im Musikhochschulkontext psychische Gewalt und emotionale Manipulation, welche in Deutschland, Stand heute, noch immer kein Straftatbestand sind. Dies ist eine massive Schutzlücke in künstlerischen Studiengängen, wo Studierende extrem vulnerabel sind. Die Arbeit am individuellen künstlerischen Ausdruck ist eine Arbeit tief im Inneren. Einzel- und Kleingruppenunterricht sind die Norm. Geübte Täter*innen kennen die jeweilige Gesetzeslage und manipulieren dort, wo sie den Schutz des Gesetzes und des Umfelds genießen. Sie arbeiten häufig nicht mit sichtbaren Grenzüberschreitungen, sondern mit unsichtbaren Grenzverschiebungen.



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