Meine Erfahrung




So war auch meine Erfahrung mit einem Professor, der einige Monate nach meiner Ankunft  in Berlin anfing mich zu groomen. Ca. ein Jahr später begann das, was ich lange Zeit als geheime und unglückliche Beziehung einordnete, und bei der die meisten meiner Grundbedürfnisse konsequent ignoriert und ich systematisch ausgenutzt wurde. Diese Beziehung dauerte über zwei Jahre, von 2013-15. Am schlimmsten war die Isolation. Spätestens Seit COVID-19 weiß die Mehrheit der Bevölkerung, welch fatalen Folgen diese für die physische und psychische Gesundheit hat. Der Täter, ein allseits beliebter Dozent und Musiker, bearbeitete mich mit vorgetäuschter Angst, geschickt getarnten Schuldzuweisungen und diversen Manipulations-Taktiken, um sicherzustellen, dass ich niemandem in der Jazz-Szene und besonders in Berlin von uns erzähle.


Mir ist es als queere Person besonders wichtig, kein Kink-Shaming zu betreiben. Ich kenne viele, die Partner*innen mit großem Altersunterschied daten, aus den unterschiedlichsten Gründen. Und an einer Zahl alleine sollte sich niemand stören.
Doch mit einem Altersunterschied kommt auch immer ein Machtgefälle. Je größer der Altersunterschied ist, desto größer ist die Verantwortung der älteren Person, proaktiv, aufrichtig und transparent zu kommunizieren.
Das war bei diesem Dozenten nicht der Fall, im Gegenteil. Und das Machtgefälle zwischen ihm und mir war immens und er weigerte sich dies zuzugeben.  Die Person war weit mehr als doppelt so alt wie ich und in der Branche international hoch angesehen. Er ist außerdem Professor an dieser Hochschule gewesen, zeitweise sogar ihr künstlerischer Leiter und genießt alle Privilegien eines weißen cis-hetero-Manns.


Sexueller Kontakt zwischen Minderjährigen und Personen mit Erziehungsauftrag ist strafbar. Erst ab einem Alter von 18 Jahren sind Beziehungen zwischen Dozent*innen und Studierenden in Deutschland legal, solange keine Benotung stattfindet. Strafrechtlich war nichts von dem, was geschah, relevant. Ob etwas vor dem Gesetz relevant ist oder nicht, macht das Geschehene aber nicht falsch oder richtig. Sich für die Ausrichtung des eigenen moralischen Kompass ausschließlich am Strafrecht zu orientieren, ist Teil der strukturellen und kulturellen Gewalt, welche Täter*innen auf allen Ebenen noch immer schützt: im Freundeskreis und der Familie, im Arbeits- bzw. Hochschulumfeld, in der Medizin, im Gesetz, in der Justiz und der Vollstreckung, in unserer Gesellschaft. Gewalt fängt dort an, wo Betroffene sie spüren. Und nicht erst dort, wo sie für Außenstehende sichtbar wird.

Leider kann es strafrechtlich relevant sein, dass ich mich hierzu öffentlich äußere.Von Gewalt betroffene Personen, die sprechen, müssen sich immer darauf einstellen, dass sie von den Täter*innen wegen übler Nachrede oder Verleumdung angezeigt und infolgedessen strafrechtlich verfolgt werden. Das kann schnell eine existenzielle Bedrohung sein, vor allem als freischaffende Musiker*in. Ich kann hier also nur von Dingen berichten, die ich auch beweisen kann.

Ich brauchte zwei Anläufe, um mich nach über zwei Jahren aus dieser „Beziehung“ zu befreien, so stark war die emotionale Manipulation. Obwohl ich dem Täter immer wieder sagte, wie schlecht es mir mit der Isolation geht, gab er uns nie die Option, die Beziehung zu verändern oder zu beenden.
Ich stellte fest, dass die Gewalt auch nach der Trennung starke Nachwirkungen hatte. Das Trauma nach emotionaler Gewalt war in meinem Fall nicht nur eine verwundete Seele und Isolation von Freund*innen und Kolleg*innen, sondern ein verzerrtes Selbstbild. Ein demontiertes Selbstbewusstsein. Ein behinderter Zugang zu meiner Kreativität. Und damit auch eine schleichende Depression.
Alles wahrgenommen durch ein vom Täter nach und nach neu-verkabeltes Gehirn, welches sich aus Selbstschutz an den Missbrauch angepasst
und sogar seine physische Struktur verändert hatte. Dementsprechend lange dauerte es, bis ich überhaupt an das Trauma ran kam.

Ich hatte felsenfest vor, nach meiner Abschlussprüfung mein Umfeld nach und nach einzuweihen. Doch die Gleichstellungsbeauftragte der Hochschule riet mir, die Sache für mich zu behalten. Sie begründete dies damit, dass andere mich nicht verstehen und meine Karriere Schaden nehmen würde. Ich bin mir sicher, sie gab mir diesen Rat nach bestem Wissen und Gewissen. Nichtsdestotrotz war es ein unglaublich schlechter Rat von der damals einzigen offiziellen Anlaufstelle für solche Fälle. Er hatte zur Folge, dass ich viele Jahre mit meiner Gewalterfahrung alleine und somit handlungsunfähig war. Mittlerweile weiß ich, dass fehlende Expertise, wenig bis gar kein Handlungsspielraum und fehlende Unabhängigkeit die Regel in den (oft ehrenamtlich besetzten) Gleichstellungsbüros der Musikhochschulen sind.

Ich zog nach meiner Abschlussprüfung für zwei Jahre weg aus Berlin, suchte Abstand zur Jazzszene. Alle anderen stärken schon während des Studiums, aber ganz besonders in der Zeit direkt danach ihr musikalisches Netzwerk in ihrer Stadt, um sich in der Szene zu etablieren. Ich gab mein musikalisches Netzwerk größtenteils auf. Ich konnte das nicht mehr. Ich konnte nicht noch länger in einem Umfeld arbeiten, wo alle die Person vergötterten, die mich so schlecht behandelt hatte und wo ich niemandem davon erzählen konnte. Ich hätte beinahe die Musik an den Nagel gehängt. Denn bei Missbrauch durch Musikmentor*innen oder Musiker*innen, wird die Musik selbst zum Missbrauchs-Werkzeug und ähnlich wie bei sexualisierter Gewalt, greift einen psychische Gewalt im Rahmen der künstlerischen Entwicklung im Innersten an. Es hat unglaublich Zeit und Mühe gekostet, wieder Vertrauen in die Räume zwischenmenschlicher Begegnung zu finden, die wir durch Musik erschließen. Von aller Gewalt, war das diejenige, die mich am nachhaltigsten gelähmt hat. Denn wenn man ganz alleine ist, und selbst das Musizieren nicht mehr sicher ist, was bleibt einem dann noch?

Es ist kein Zufall, dass die Institutionen, welche das größte Renommee haben, auch häufig toxische Orte sind. Community-Building? Fehlanzeige. Doch isolierte junge Menschen, deren einzige Bewältigungsstrategie Musik ist, üben mehr. Ihre Musik bekommt unter Umständen mehr emotionale Tiefe. Viele knapsen ihre Emotionen aber auch teilweise oder komplett ab und stürzen sich aufs Handwerkliche. Viele bekommen erst mit Abstand zur Hochschulzeit wieder einen Zugang zu sich selbst in ihrer Musik und spielen sich wieder frei. Dieses Privileg wird aber nur denen zuteil, die es sich leisten können. Die anderen müssen einen Großteil ihrer Kapazitäten dem Überleben in einem unterdrückerischen System geben. All das geht von der Komponier- und Übezeit ab. Eine weitere maßlose Ungerechtigkeit in der Musikausbildung.

Das Geschehene als emotionalen Missbrauch und psychische Manipulation einsortieren zu können, dauerte einige Jahre. Ich war von 2011 bis 2016 am JIB. Informationen zum Thema emotionale Gewalt gab es damals wenig. Und auch heute sind wir noch immer weit entfernt davon, psychische Gewalt als schwere Gewalt anzuerkennen. Sie wird noch immer im Vergleich zu physischer Gewalt als weniger schlimm missverstanden. Diese fehlende Aufklärung führt dazu, dass Betroffene umso mehr soziale/ kulturelle Gewalt in Form von Victim-Blaming und Silencing erfahren. Wer sich ein Bild davon machen möchte, wie akzeptiert Sexualisierung von FLINTA+, Sexismus und psychische Gewalt in unserer Gesellschaft sind, sollte sich die Dokumentation von strg_F zu Germany’s Next Topmodel auf YouTube anschauen.



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