Institutionen und Gesetze




Das AGG, das Allgemeine Gleichstellungsgesetz und die angeschlossene Antidiskriminierungsstelle des Bundes, gelten nicht im Hochschulbereich, da Bildung Ländersache ist. Das Land Berlin ist das einzige Bundesland, das ein Antidiskriminierungsgesetz auf Landesebene hat, das LADG. Alle anderen Bundesländer haben hier eine massive Schutzlücke für Studierende.

Das LADG trat leider erst 2020 in Kraft und kam in meinem Falle zu spät. Heute gibt es dort die Ombudsstelle zum LADG, an die sich Betroffene wenden können. Diese handelt nicht nach dem Strafrecht, sondern agiert im Zivilrecht. Das heißt, die Beweispflicht liegt nicht bei den Betroffenen, so wie es vor Gericht inkl. Unschuldsvermutung für Täter*innen ist. Im Zivilrecht liegt die Beweispflicht bei den Täter*innen. Vonseiten der Betroffenen braucht es keine strafrechtlich relevanten Beweise, hinreichende Indizien genügen. Besonders im Falle sexualisierter Gewalt, wo es selten Beweise gibt, ist das wichtig. Und es wäre gut, wenn Betroffene öfter die Erfahrung machen könnten, dass ihnen geglaubt wird und, dass aus dem Verhalten der Täter*innen Konsequenzen gezogen werden. Auch für Freiberufler*innen kann die Ombudsstelle tätig werden, solange nachweisbar ist, dass es einen Vertrag gibt. Hierfür reicht, wie auch sonst, ein mündlicher Vertrag aus. Die Ombudsstelle arbeitet auch mit Dolmetscher*innen und ist somit auch zugänglich für Personen, die nicht ausreichend gut Deutsch sprechen können.


Seit 2019 gibt es die Themis e.V. - Vertrauensstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt im Bereich Film und Fernsehen, seit 2022 auch für den Bereich Musik. Betroffene bekommen dort kostenlose juristische und psychologische Beratung und Unterstützung im Gespräch mit den Arbeitgeber*innen. Letztere kann aber nur bei Anstellungsverhältnissen wirksam stattfinden. Für Freiberufler*innen, Ehrenamtliche und Studierende, kann sie (noch) nicht stattfinden. Die Jazzszene setzt sich aber beinahe ausschließlich aus solchen Personen zusammen. Dennoch bleibt das Angebot kostenloser Beratung, und die Themis ermutigt auch Freiberufler*innen dazu dieses acuh zu nutzen.
Außerdem betreut die Themis nur Fälle sexualisierter Gewalt, aber keine anderen Formen von Gewalt und Diskriminierung. Auch dies ist eine Schutzlücke. Darüber hinaus wird die Themis nicht von Steuergeldern finanziert, sondern von Interessenverbänden aus den Bereichen Schauspiel und Musik. Eine endgültige Unabhängigkeit von der Szene ist also auch hier nicht gegeben.


Das Hauptproblem an diesen beiden Stellen: kaum jemand weiß davon. Das Jazz Institut Berlin hat vor wenigen Wochen eine neue Homepage an den Start gebracht. Zum Thema Gleichstellung und den beratenden Stellen findet man darauf: gar nichts. Auf der Homepage der Universität der Künste, an welche das JIB angeschlossen ist, findet man zur Ombudsstelle auch nichts. Nur Infos zu den internen Gleichstellungsbeauftragten, die ja aber eben nicht unabhängig sind und zudem häufig ehrenamtlich, also ohne Ausbildung zum Thema, arbeiten.

Studierenden derart wichtige Informationen vorzuenthalten, ist Teil der epistemischen Gewalt von der besonders Heranwachsende und mehrfach marginalisierte Personen zusätzlich herausgefordert werden. Auch die IG Jazz Berlin, die Deutsche Jazz Union und die Initiative Musik haben erst vor kurzem neue Homepages an den Start gebracht. Infos zu Antidiskriminierungs-Stellen oder gar eine Suchfunktion? Fehlanzeige. Auch der Musikfonds, größte Förderstelle für aktuelle Musik, verlinkt nicht zu den Antidiskriminierungsstellen.

In Satzungen, gemeinsamen Erklärungen etc. wird sich zu den Themen Gleichstellung und Diskriminierung möglichst schwammig geäußert. Dabei wäre es so leicht, die Informationen zu den Beratungsstellen auf die Homepage zu packen, in den Newsletter, einem Stipendien-Vertrag beizufügen etc. Man könnte die Fördermittelvergabe und damit das Ausgeben öffentlicher Gelder daran knüpfen, dass sich die Empfänger*innen in der Umsetzung des Projekts verbindlich an die im Antrag präsentierte Quote halten müssen, und somit auch im Interesse der breiten Öffentlichkeit handeln. Man könnte den Stipendienverträgen Antidiskriminierungs-Klauseln hinzufügen. Man könnte so vieles, wenn man doch nur wollte.

Bisher scheitern diese Ideen immer daran, dass sich die jeweiligen Institutionen, Hochschulen, Verbände und Fördergeldgeber nicht zuständig fühlen. Auf die Erkenntnis, in dem Bereich selbst zu wenig Informationen zu haben, folgt immer der Trugschluss, dass das Thema dann auch nicht in den eigenen Zuständigkeitsbereich fällt. Und genau das ist der Grund, warum sie für Betroffene von Gewalt nicht vertrauenswürdig sind. Es wird den Betroffenen unnötig schwer gemacht, an Informationen und Hilfe heranzukommen. In der Not fühlt sich jede nicht-Zuständigkeits-Erfahrung wie eine zermürbende Zurückweisung an. Wann begreifen wir endlich, dass Gewalt und Diskriminierung in die Zuständigkeit des zivilen Miteinanders, und damit jedes einzelnen Menschen und auch den Institutionen, für die sie arbeiten, fallen?

Die Themis hat einen Instagram-Account, die Ombudsstelle hat keine Social-Media-Präsenz. Online findet man nur Informationen auf der Seite der Stadt Berlin, mit welcher die meisten, besonders Nicht-Deutsch-Muttersprachler*innen, nicht unbedingt gut zurechtkommen. Die Themis ist erst seit vergangenem Jahr für den Bereich Musik zuständig und berichtet, dass sich die Anfragen bisher in Grenzen halten.


Die Reform des Sexualstrafrechts kam erst 2016. Die Diskussion darum war auch von einem rassistischen Motiv getrieben. Der Mythos, dass Täter fremde Personen mit Migrationshintergrund sind, wird nach wie vor von der konservativen, wie auch der extremistischen Rechten genährt. In Deutschland gilt die Regel “Nein heißt nein”. Diese Regelung legitimiert per Definition Grenzüberschreitungen. Man darf also erst mal Grenzen überschreiten. Denn wenn eine Person sexuelle Annäherung nicht will, dann sagt sie das ja wohl. Oder?
Dieses Denken übersieht, dass gerade, weil Täter*innen zumeist aus dem direkten Umfeld kommen, starke Abhängigkeitsverhältnisse ein „Nein“ erschweren und verhindern. Außerdem übersieht sie die Tatsache, dass wir zu unserem eigenen Schutz immer die sicherste Option wählen. Das kann bei Machtgefällen bedeuten: Wir reden uns etwas schön. Das kann bedeuten, sich selbst und die Wahrnehmung aus dem Körper herauszuheben. Hinzu kommt, dass weiblich sozialisierte Personen dazu erzogen werden, Kompromisse einzugehen, und männlich sozialisierte dazu, sich das zu nehmen, was sie wollen.
Deswegen fordern viele, mich eingeschlossen, schon seit längerem: “Nur ja heißt ja.” In einigen europäischen Ländern ist dies bereits die zugrunde liegende Regel des Sexualstrafrechts.


Wie zynisch, dass sowohl dieser menschliche Schutzmechanismus, als auch die, an der vermeintlichen Binariät der Geschlechter orientierte Sozialisation, vor Gericht zulasten der Betroffenen geht. Ebenso zynisch ist es, ein Alter von 18 Jahren für Konsensfähigkeit festzulegen, wo das menschliche Gehirn erst mit frühestens 25 Jahren voll ausgebildet ist. Und das in einer Gesellschaft, in der informierter Konsens überhaupt nicht beigebracht oder praktiziert wird.


Zu guter Letzt gibt es für häusliche, sexualisierte und emotionale Gewalt selten Beweise, die als solche vor Gericht anerkannt werden oder zu einem Strafmaß führen, das in irgendeiner Weise im Verhältnis zum Trauma der Betroffenen steht.

Hingegen schützen die Paragrafen 186 und 187 StGB vor übler Nachrede und Verleumdung. Dass eine Person sich öffentlich äußert, ist ziemlich leicht nachzuweisen. Die Unschuldsvermutung gilt somit in der juristischen Praxis meist nur für die Täter*innen. Die Gesellschaft versteht noch immer nicht, dass die Zahl der Verurteilungen nicht annähernd die Zahl der Vorfälle abbildet. Doch möchten wir uns wirklich mit dieser frustrierenden Bilanz zufriedengeben? Oder fangen wir endlich an, daraus abzuleiten, dass eine Person, die ein drohendes Gerichtsverfahren, Häme aus der Gesellschaft und Karriere-Einbußen in Kauf nimmt, mit allergrößter Wahrscheinlichkeit die Wahrheit sagt?


Viele wissen nicht, dass das Strafrecht die letzte Instanz für die Regelung gemeinschaftlichen Lebens ist, und so konzipiert ist, dass es so spät wie möglich in die Privatsphäre von Bürger*innen eingreift. Es gibt daneben aber auch das Zivilrecht inklusive Arbeitsrecht. Und davor gibt es Codes of Conduct und Leitlinien. Und davor gibt es eine Verantwortung als Zivilperson zum solidarischen Miteinander. Lasst uns doch erst einmal dort mit unserer eigenen moralischen Orientierung anfangen, bevor wir verunsichert zum Richter*innenstuhl schielen.




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